Ich weiß nicht recht, ob es eine gute Idee war, mich mit auf den Weg zu machen.
Im Rückspiegel beobachte ich unseren Hänger, als ich das Gespann von der Straße auf einen mörderisch glatten Traktorweg aus Betonplatten lenke.
Hier sind wir mitten im Nichts. Die Autobahn ist nicht weit, die nächsten Orte kilometerweit entfernt, keiner interessiert sich für dieses Stück Land, das nur als Verbindung zwischen zwei Orten dient und weder schön anzuschauen, noch berühmt ist.
Wir können irgendwo in Deutschland sein, solche Orte gibt es viele.
Ich weiß, was in den Hallen des Gutshofes lagert. Und lagern ist das richtige Wort, denn für die momentanen und zukünftigen Eigentümer handelt es sich nur noch um Dinge. Um Sachen, die von A nach B verschoben werden, um damit Geld zu verdienen.
Wir werden freundlich empfangen, keine Frage, wir wollen ja auch Geld dalassen. Für die beiden dauert die Reise heute nur noch 300 km. Für die anderen, die ohne Nummer, dauert die Reise am Montag nur wenige Kilometer. Sie waren zu dünn. Nicht zu schwach oder krank, sie waren zu dünn.
Die mit Nummer haben 1200 km Fahrt vor sich.
Wir könnten eigentlich schon fahren, doch wir entschließen uns, doch noch einen Blick in die Halle mit den Laufboxen zu werfen. Das packen wir schon. Denken wir.
Ich packe es nicht.
Ahnungslos stehen um die 40 Pferde in schönen, dick eingestreuten Laufboxen. Nicht unbedingt in der besten Herdenzusammenstellung, ab und an wird gequietscht, aber es wird ihnen nichts fehlen, bis sie am Montag ihre finale Reise auf zu wenig Platz, ohne Licht, ohne Wasser, ohne Futter und vermutlich ohne die richtigen Papiere antreten werden.
Ich bin verwundert, denn den meisten scheinen nicht offensichtlich krank zu sein. Erwartet habe ich das Elend in dunklen Ställen, aber die Tiere sehen noch verdammt gut aus.
Bis auf eine Ausnahme.
Natürlich, ich habe keinen Röntgenblick, ich sehe keine Arthrosen, Hufknorpelverknöcherung oder Kissing Spines von außen. Eine Dampfrinne sehe ich, einige absolut vernachlässigte Hufe, aber sonst…?
Ich frage unsere Kontaktperson, wo die Tiere herkommen.
Einige wurden abgegeben, direkt hier vor Ort, die meisten kommen von anderen Händlern aus ganz Deutschland. Der unverkäufliche Ausschuss. Nun, nicht ganz unverkäuflich. Die Italiener zahlen den doppelten Schlachtpreis. Also lohnt es sich, die Tiere dahin zu karren, wo die Italiener zum Aussuchen hinkommen: Ins anonyme Nichts, irgendwo in Deutschland.
Geschätzt 16 Jahre im Schnitt sind diese Pferde alt. Nicht wirklich alt, aber deutlich über den Zenit des Deutschen Durchschnittspferdes hinaus. Bin ich am Ende auf den Grund für das Pferde-Durchschnittsalter gestoßen?
Zu wenigen Tieren bekommen wir die Geschichte. Einigen sieht man ihre Geschichte an. Von ein paar möchte man die Vergangenheit lieber nicht wissen.
Das Wissen um ihre Zukunft und wer an dieser Zukunft schuld ist, lässt mir vor Entsetzen den Atem stocken.
Eingetauscht, alt gegen neu. Wie ein Gebrauchtwagen.
Der kann nicht mehr, nehmen sie ihn, sie werden schon wissen, was zu machen ist. Abgeschoben, um keine schlimme Entscheidung treffen zu müssen. Um sich nicht mit dem Ende auseinandersetzen zu müssen. Um sie weg zu haben.
Als Schlachtpferd auf den Hof gestellt. Wann und wo interessiert mich nicht. Er ist im Weg. Geben sie den Schlachtpreis. Danke. Wiedersehen.
Aus den Augen, aus dem Sinn.
Da steht ein kleines Fjordpferd mit einer Nummer im dicken Winterfell. Sieht ganz proper aus und guckt freundlich. Er ist noch jung, höchstens 6 Jahre. Drei Jahre hat er die Kinder durch den Wald getragen, bergauf, bergab, ohne Sattel, mit Sattel. Immer freundlich, immer lieb. Dann kam der Tag der Verletzung. Kurzes Quietschen auf der Koppel, der Fjord wirft sich herum, und landet mit dem Auge in einem nicht ordentlich befestigten Stück Draht am Zaun.
Das sieht nicht schön aus. Halbblind ist er nun. Das Auge müsste operiert werden. Das ist zu teuer. Das sollte doch ein günstiges Kinderpony sein. Komm, bring ihn zum Händler. Vielleicht hat der ein ganzes Pony für die Kinder.
Hat er gehabt.
Und, was haben Sie ihren Kindern erzählt?
Wie schön es für Ponys im sonnigen Italien ist?
Hinten im Eck wartet eine hübsche Paintstute. Sie weiß nicht, was sie falsch gemacht hat, dass keiner mehr zu ihr kommt. Ihr schmerzen die Füße. Vor allem in Wendungen. Bei den Spins kam sie nicht mehr mit, sie ist gestolpert. Jahrelang hat sie Sliding Stops, Spins und Rollbacks gemacht, immer weiter, immer wieder, jedes Wochenende auf einem anderen Turnier. Jetzt ist sie 8 Jahre alt und die Hufrollen in den Vorderbeinen sind entzündet und schmerzen.
Sie war immer brav. Sie war das tolle Paint Horse mit den Showerfolgen. Sie lief immer, sie verweigerte sich nie. Weiter, weiter, weiter.
Vor ein paar Tagen hat er sie hergebracht. In ihrer Box zu Hause steht nun ein junges, braunes Quarter Horse. Wenn man ihren Besitzer fragt, wo die Paintstute ist, sagt er: „Ich habe sie zum Abdecker gebracht!“
Das stimmt nicht ganz, aber er möchte nicht, dass die anderen wissen, dass er nicht dabei sein will, wenn das Vieh den Löffel abgibt.
Sie bekam für ihre Dienste einen Preis, ein Freifahrtticket letzter Klasse nach Italien.
Die Nr. 117 sticht ins Auge. Was für eine hübsche Stute! Ganz sanft schaut sie einen an. Auch sie ist halbblind, allerdings erkennt man es nur, wenn das Licht genau in die trübe Linse des rechten Auges fällt.
Sie hat berühmte Vorfahren. Sie kann springen! Und sie sprang. Auf so vielen Dorfturnieren. Nie höher als Klasse L, aber sie war gut und holte die Schleifen, die ihrer Reiterin so wichtig waren. Dann begann die Sache mit der periodischen Augenentzündung. Also wurde sie ab und an nicht mehr zum Turnierplatz gefahren. Als dann das rechte Auge komplett erblindete, brachte man sie zum Händler, als Anzahlung für einen neuen Schleifensammler.
Die tollen Vorfahren nutzen nichts, wenn man wegen der Krankheit keine Nachkommen haben darf. Unverkäuflich, unrentabel, Schlachtpreis.
Na, den italienischen Schlachtpreis kann man dem Ding noch aus den Rippen leiern.
In einer Laufbox stehen drei müde Pferde im Eck. Sie sind sogar noch an allen Hufen beschlagen. Jahrelang haben sie ihre Reitschüler durch den staubigen Hallensand getragen, haben das Rucken im Maul und das Stossen im Rücken ertragen, haben so manch jungem Reiter zu seinem ersten Turniererfolg verholfen. Dann wurden die Sehnen langsam müde, die Gelenke arthritisch, dann ging es nicht mehr.
„Der ist platt“, sagte man im Stall.
Ob die Reitlehrer den Reitschulmädchen die Wahrheit gesagt haben, wo die Pferde hin sind? Dass sie nicht sofort zum Schlachter, sondern erst zum Händler sind, weil sie dort das Sammelticket in den Süden bekommen?
Ganz hinten liegt ein Haflinger. Er kam in der Nacht davor mit dem Fjord und einigen anderen Haflingern über 500 km angereist. Er konnte schon im Transporter die Schmerzen in seinen Vorderhufen nicht mehr ertragen. Er lag zwischen den anderen, jetzt liegt er hier wieder. So schlimme Schmerzen. Der ganze Körper ist verdreckt, zittert, schwitzt.
Jedes Jahr zur Kirmes hat er den Bürgermeister zum Festzelt gezogen, lief vor der reich geschmückten Kutsche, im schönsten Prunkgeschirr. Und jeden Tag zog er zur Show ein paar Fässer von der Brauerei quer über die Schaustellergassen bis zum Ausschank.
Dann kam jemand, der es gut meinte, und ihm Hafer ohne Ende gab.
Als der Tierarzt kam und Hufrehe diagnostizierte, zuckte der Besitzer mit den Schultern. Keine Zeit für so was, und Geld bringt’s auch nicht. Der Händler wird den schon noch weiterbringen. Hat er gemacht. Zwei Tage unter Schmerzen, bis der Haflinger im Stall irgendwo im Nirgendwo war.
Da liegt er nun, der einst geschmückte und viel fotografierte Haflinger, er liegt vor Schmerzen zitternd in seinem eigenen Dünnpfiff. Selbst wenn er wollte, er könnte nicht weg. Er soll am Montag mit nach Italien. Haflinger bringen viel, die sind immer etwas dicker.
Noch zwei Tage bis Montag, dann noch mindestens 12 Stunden bis zur Ankunft am Ende. Der Dank für braves Bierfässerziehen sind 5 Tage unsägliche Schmerzen, 12 Stunden Transport, und nie wieder Licht sehen, weil er die Strapazen nicht überleben wird.
Und der, der ihm das eingebrockt hat, ist nicht der Händler, bei dem er abgegeben wurde. Ist nicht der Mann, der ihn quer durch Deutschland transportiert hat. Auch nicht der Fleischhändler, bei dem er jetzt steht. Nicht mal der unsympathische, italienische Spediteur. Vielleicht ein bisschen die Verantwortlichen in Brüssel, die immer noch nicht den Schneid haben, Schlachtviehtransporte quer durch Europa zu verbieten.
Schuld ist ein Mitglied der großen Reiter- und Fahrergemeinde.
Ja, ja, ein schwarzes Schaf.
Nein. Alleine in diesem Stall, irgendwo in Deutschland, im Nichts, einem Ort, an dem man sie vergessen kann, weil man sie nicht sieht, standen rund 40 Tiere, abgeschoben von schwarzen Schafen.
Wir verladen unsere zwei Ponys, die nun ihren Lebensabend in Ruhe, mit TA und Schmied verbringen werden. Sie fahren nur noch 300 km, müssen nicht weiter in den Süden.
Sinnlos, ein Tropfen auf dem heißen Stein, das macht nur Platz für andere, warum willst Du Geld für zwei uralte Ponys ausgeben… etc, bla bla, ich kenne die rationalen Sätze.
Es begegnet uns kein einziges anderes Auto auf dem Weg zur Autobahn. Wie praktisch für überfüllte Schlachtviehtransporte.
Wie haben nur 2 Ex-Schlachtpferde dabei, und selbst wir fahren illegal, es gab keine Equidenpässe. War kein passender da.
Ob die Pferde mit den einrasierten Nummern Equidenpässe haben? Ob diese Pferde wirklich alle als „Schlachtpferd“ deklariert waren? Was passiert da im großen Stil, wenn wir schon am Rande nicht lupenreine Sachen mitbekommen, die wir natürlich nicht beweisen können. Wird da kontrolliert? Oder gibt es einfach ab und zu einen Zufallstreffer?
Während wir mit dem Hänger durch den Regen nach Hause schaukeln, wird nicht nur der Tag, sondern es werden auch meine Gedanken dunkler.
Ich bin traurig, weil ich nicht allen helfen kann.
Ich bin wütend, weil ich nichts beweisen kann.
Ich bin enttäuscht, dass so viele Menschen ihren Tieren so wenig Respekt zollen.
Egal, ob Verkauf oder Tod: Ein kleines Bisschen Gewissen muss man doch haben, wenn es um die Folgen für das Tier geht.
Der Haflinger geht mir nicht mehr aus dem Kopf, der dort in seinem eigenen Dreck lag. Was für ein unwürdiges Ende. Niemand hat so etwas verdient. Mittlerweile erschrecke ich vor meinen Gedanken, denn ich wünsche dem Menschen, der das Tier in diese Misere gebracht hat, das gleiche an den Hals.
Wie beschämend, dadurch setze ich mich fast auf die gleiche Stufe.
Unsere Fahrt verläuft sehr tonlos. Wir müssen beide den Tag und seine Folgen verarbeiten.
Zu Hause laden wir die Ponys aus, die genauso müde wie wir sind, sie folgen brav und vertrauensvoll in die neue Box. Nehmen gerne das frisch gekochte Mash.
Diese beiden gehen nicht nach Italien, nicht heute, nicht in 5 Jahren. Es mag niemanden interessieren. Zwei weniger, wer merkt das schon.
Für die beiden Ponys, für die macht es den Unterschied.
Und für mich, keines meiner Tiere wird so ein Ende erleiden. Denn ich möchte noch in den Spiegel schauen können…
#1 von Ulli am 26. August 2009 - 21:07
macht sehr nachdenklich. Und ist leider leider so wahr….
Toll geschrieben, liebe Meike.